Schwarz-Weiß-Denken hat keine Zukunft

Viele von uns – und ich nehme mich da gar nicht aus – haben sich schon so sehr mit dem Begriff “Stasi 2.0” als Synonym für Schäubles Überwachungsmaßnahmen identifiziert, dass sie die Relation, in der die damaligen Überwachungsmaßnahmen zu den heutigen geplanten oder auch bereits eingeführten Maßnahmen stehen, nicht mehr hinterfragen.

Daniel Kulla, Schriftsteller und Verleger aus Berlin (ich habe nachgeschaut, dem Mann wurde trotz seines jungen Alters bereits ein eigener Wikipedia-Eintrag zuteil) – schreibt in Vorbereitung auf eine Rede, die er heute in der C-base in Berlin gehalten hat, folgendes:

Stasi 2.0 reloaded schlägt zurück und is watching you? Die aufrechten Hacker kämpfen als Speerspitze der freiheitsliebenden Deutschen gegen den Überwachungsstaat? “Diesmal stoppen wir sie vor dem Reichstagsbrand”? Vielleicht ist die Gesamtlage doch etwas komplizierter.

Das Ministerium für Staatssicherheit unterhielt 200 000 Zuträger, um die eigenen Staatsbürger davon abzuhalten, die Gesellschaftsordnung der DDR in eine der BRD ähnliche zu verwandeln. Abhörtechnik, willkürliche Verhaftungen und auch die Verwendung von Geruchsproben gehörten zur Routine. Der Innenminister, sein Ministerium und die anderen Sicherheitsfachleute der Gegenwart wollen hingegen die gegenseitige Überwachung der Marktsubjekte um einzelne, wenig zielführende Maßnahmen
ergänzen.

[…]

Wer sich in Deutschland für das Recht auf Privatsphäre, für Persönlichkeitsrechte allgemein einsetzt, vertritt eine Minderheitenposition und kann sich auf keine Civil Liberties Union stützen, nicht auf libertäre Fraktionen in den Regierungsparteien oder auf eine starke Bürgerbewegung, die wie in Irland Biometrie in den Ausweisen verhindern könnte.

[…]

Stasi 2.0? Nein, ganz einfach Volk 1.0, Standardausgabe. Wer in der Zeitung über seine Nachbarn lesen will, was sie für sexuelle Gepflogenheiten haben oder wie gemeinschaftsfeindlich sie sich der unkorrekten Mülltrennung schuldig machen, der hat wenig Skrupel, was einen starken, schützenden Staat angeht.

Natürlich blieb diese “Provokation” auf Seiten des AK Vorrat in Person von Volker Birk nicht unbeantwortet.

Ich persönlich kann mich in letzter Zeit mit beiden Meinungen nicht wirklich identifizieren.

Auf der einen Seite ist es mehr als betrüblich, dass die Sicherheitsmaschinerie des Innenministeriums, quasi ohne ins Stocken zu geraten, weiterläuft. Sicher haben sich mittlerweile über 25.000 Personen der Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung angeschlossen und natürlich hoffe ich wie alle anderen Unterzeichner auf einen Erfolg.

Aber wie ist der zu definieren? Ganz an der Vorratsdatenspeicherung vorbei werden wir wohl nicht kommen – das ist nicht zu erwarten. Und selbst wenn die VDS in ihrer jetzigen Form irgendwie gestoppt wird, so schnell wie wir aus dem hiesigen Innenministerium mit neuen Maßnahmen (Online-Duchsuchung, ePass, ePerso, im weitergehenden Sinne auch elektronische Gesundheitskarte und eCall) befeuert werden, wird uns bald die Puste ausgehen. Der Grund ist einfach: Es gibt immer noch keinen breiten Widerstand durch alle Bevölkerungsschichten, wir sprechen von mehreren zehntausend aktivierten Menschen, benötigt werden jedoch Hunderttausende.

Werden die sich in Zeiten der Selbstentblößung im Web 2.0, wo Menschen sich und ihre Daten prostituieren, mehr von sich preis geben als Schäuble je von uns wissen werden will, wirklich finden? Ich weiß es nicht. Ich hoffe es, aber ich bin mir wirklich unsicher. Vielleicht ist der Wunsch, Geheimnisse für sich zu behalten, ein in 20 Jahren nicht mehr länger erstrebenswertes Ziel? Was wird mein jetzt anderthalb Jahre alter Sohn zu den Befürchtungen, Mahnungen und Ängsten seines “alten Herrn” dann entgegnen?

Auf der anderen Seite macht es bei dem aktuellen, politischen Tagesgeschehen (Islamisten mit Atombombe in greifbarer Nähe?) aber auch keinen Sinn, sich als “unverbesserlicher Datenschützer” aufzuführen; und es hat wahrscheinlich auch nie wirklich Sinn gemacht. Wie soll die Polizei möglicher neuer Angriffsarten Herr werden, wenn sie sich und ihre Techniken und Verfahren nicht ebenfalls weiterentwickelt? Natürlich will ich keine umfassende Überwachung, aber ich möchte auch nicht von einem fundamentalistischen Islamisten an der nächsten Kreuzung mitsamt meiner noch jungen Familie umgebracht werden. Klar, wie wahrscheinlich ist das, dass das passiert? Doch wie groß ist das Leid der Familien und das Gezeter, wenn es dann doch passiert…?

Es gilt, wie immer und überall im Leben, einen Kompromiss zu finden. Und ich bin da ganz ehrlich: Habe ich wirklich bessere Vorschläge und Ideen, die meine, die unsere Sicherheit garantieren? Nein, nicht wirklich.

Sicher, absolute Sicherheit gibt es nicht und Sicherheitsgarantien sind ohnehin Blödsinn. Rational denken hilft bei Terroristen aber ebenso wenig. Ein Denkanstoß zu dem fehlgeschlagenen Versuch des Westens, die “Radikalen doch noch irgendwie zu zivilisieren”, liefert bspw. ein Artikel auf Spiegel Online:

Während die europäischen Intellektuellen sich darüber die Köpfe zerbrechen, wie man den Islamismus bekämpfen könne, ohne die moderaten Moslems in die Arme der Extremisten zu treiben, bestimmen die Fundamentalisten den Gang und das Tempo der Auseinandersetzung. Ob es ein paar harmlose Mohammed-Karikaturen sind, die in einer dänischen Zeitung erschienen sind oder ein Teddybär, den eine im Sudan lebende Britin “Mohammed” genannt hat oder die Ernennung von Salman Rushdie zum Ritter – für die Fundamentalisten sind das alles Belege einer im Westen grassierenden Islamophobie.

Wenn sie dagegen Geiseln enthaupten, Ehebrecherinnen steinigen und Homosexuelle aufhängen, dann setzen sie nur ihren Glauben in die Tat um und verbitten sich jede Kritik, die sie natürlich auch als “islamophob” empfinden. Aller Rückständigkeit zum Trotz haben die Fundamentalisten eine Lektion gelernt: Schurkereien machen sich bezahlt, der Westen ist im Begriff, aus Angst vor dem Tode Selbstmord zu begehen.

Wie kann man denn aber nun Terrorismus wirklich den Nährboden entziehen und damit die ganze Sicherheitsmaschinerie überflüssig machen?

Ich denke, es ist Neid, Verzweiflung und Armut, die Menschen zu Selbstmordattentätern werden lässt, verbunden mit fehlender Bildung und Verblendung. Wir betreiben auf Kosten unserer eigenen Freiheit ein globales Wettrüsten, um unsere Sicherheit, unseren Wohlstand zu sichern. Aber wie viel tun wir gegen das vielgesichtige Leid der Menschen in den Regionen auf dieser Welt, in denen Terrorismus seine Brutstätten hat? Und wie hoch sind im Vergleich dazu die Militär- und Verteidigungsausgaben der westlichen Länder – wie hoch ist unser eigener Wohlstand?

Es ist gleichzeitig beängstigend, aber von einem äußeren Standpunkt auch interessant, zu erfahren, was die Zukunft für uns bereit hält.

Trotz alledem ein frohes neues Jahr 2008.

2 thoughts on “Schwarz-Weiß-Denken hat keine Zukunft”

  1. Neid, Verzweiflung, Armut?

    Das gilt vielleicht für die Selbstmordattentäter aus dem Gaza-Streifen. Für die im Westen tätigen “Schläfer” hat sich doch meistens anderes gezeigt. Das sind alles gut ausgebildete Leute, viele Studenten. Sozusagen Globalisierungsgewinner.

  2. In diesem Fall tippe ich auf religiöse Verblendung und fehlgeschlagene Integration. Wie der Fall einzuorten ist, wenn keins von beiden vorliegt, weiß ich aber auch nicht. Es liegt einfach in meiner Natur anzunehmen, dass ein bestimmtes Handeln immer auch einem Grund folgt. Ich glaube einfach nicht, dass Menschen “aus Spaß” sich und andere umbringen – ich bin fest davon überzeugt, dass es immer eine Begründung für ihr Handeln gibt, sei dieser Grund in unseren Augen noch so abwegig. Ich denke in diesem Zusammenhang auch, dass unsere heutige Gesellschaft an vielen Stellen zu wenig hinterfragt und nachhakt.

    Täter und Opfer sind immer recht schnell ausfindig gemacht und Menschen sehr schnell als “mutmaßliche” (für mich das Unwort in diesem Jahr) Terroristen dargestellt. Was sie zu diesem Handeln bewegt und wie man andere, ähnlich denkenden Menschen davon abhalten kann, darüber gibt es keinen Diskurs.

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